Über die Schönheit der Dinge
Das Jahr 2020 ist ein Wendejahr.
Dass sich Dinge in unserem Leben grundlegend ändern müssen, war vielen Menschen schon vor Corona klar. Klimaveränderung, Artensterben, overtourism, überbordendes Verkehrsaufkommen, Müll, Überpopulation, Ressourcenvergeudung: Das sind Themen, die auch schon vor Corona viele beschäftigt haben. Nach dem Corona-Schock werden wir diese aktiv angehen. Schon lange vor Ausbruch von Corona habe ich – wie viele andere Menschen auch – darüber nachgedacht, wie das Leben weitergehen soll. Was könnte dabei mein Beitrag sein?
Meine Welt ist die Welt der Architektur in all ihrer unermesslichen, historischen Reichhaltigkeit. Im Jahr 1997 habe ich nach einer langen Phase als Architekturtheoretiker die Welt der Universität verlassen. Ich habe im Burgenland, einer ländlichen Region im Osten Österreichs, ein Architekturbüro gegründet. Mein größter Antrieb war damals, schöne, funktionale, maßgeschneiderte und nachhaltige Bauwerke für meine Bauherren zu entwickeln. Das Planen und Bauen war meine große Leidenschaft.
Es entstanden für meine Bauherren – allesamt großartige Menschen, von denen ich viel lernen konnte – eine Vielzahl von Einfamilienhäusern und sozialen Wohnbauten. Ein weiterer Schwerpunkt meiner Arbeiten war die Gestaltung von schönen Innenräumen, Restaurants, Shops oder Museen. Und dann gab es von Anfang an noch eine weitere Aufgabe, die mich sehr begeisterte. Es geht um den Umgang mit Altbauten und mit denkmalgeschützter Substanz. Eine gelungene architektonische Verbindung zwischen Alt und Neu herzustellen, ist eine immerwährende Herausforderung.
Besonders das Arbeiten in und mit architektonischen Altbeständen hat mich aber auch nachdenklich gemacht. Ich lernte beim Umgang mit diesen Altbauten, welchen dauerhaften Wert einfache, aber gute Materialen und eine auf Wissen basierte handwerkliche Verarbeitung dieser Materialen bedeutet. Gleichzeitig wurde mir bewusst, dass wir uns mit der Art und Weise, wie wir heute bauen, von dieser guten Tradition der langen Haltbarkeit in der Architektur radikal wegbewegen.
- Wir bauen heute leider Gebäude, die nicht lange halten können.
- Wir bauen Gebäude, die nicht gesund sind.
- Wir bauen Gebäude aus wenig umweltfreundlichen Materialien wie Beton oder erdölbasierten Klebern.
Viele dieser Materialien sind in ihrer Herstellung und in ihrem Transport unglaublich zerstörerisch. Vieles davon landet viel zu früh und in Unmengen auf Mülldeponien. Ich finde das falsch. Als erste bewusste Auseinandersetzung mit diesen Fragen erschien im Jahr 2014 meine Streitschrift Entdämmt Euch!
Die Streitschrift beschäftigt sich vor allem mit dem Dämmstoff Polystyrol, seinen Förderern und Befürwortern, aber auch seiner Problematik. Im Buch werden aber auch Alternativen zu einem zeitgemäßen Bauen ohne Dämmung aufgezeigt.
Meine Kritik am heutigen Bauen geht weit über die problematische Frage des Dämmens hinaus. Wir können zum Beispiel feststellen, dass viele interessante brutalistische Sichtbetonbauten, die Ende der Siebziger Jahre oder Anfang der Achtziger Jahre entstanden, heute totale Bauschäden sind. Nach nur dreißig Jahren ihrer Existenz müssen diese Bauwerke abgerissen oder um unglaublich viel Geld renoviert werden. Nach nur dreißig Jahren! In der heutigen Welt der Architektur läuft etwas fundamental falsch.
Gleichzeitig gibt es etwa im Alpenraum eine Vielzahl sehr einfacher Holzhäuser, die teilweise 500 Jahre und älter sind. Diese Häuser sind bei geringem Pflege- und Reparaturaufwand ohne weiteres weiterverwendbar. Es wird schnell klar, dass wir zwei Welten vor uns haben, die unversöhnlich zu sein scheinen. Wir müssen uns also entscheiden, welchen Weg der Architektur wir im Hinblick auf die dringend notwendige Gesundung unseres Planeten beschreiten wollen.
Dieses unscheinbare Haus in der Schweiz ist das älteste Holzhaus Europas. Es wurde im Jahr 1176 errichtet. Im Jahr 2001 wurde dieses Haus an seinem ursprünglichen Standort unter anderem mit der Begründung abgetragen, dass es energetisch nicht mehr tauglich sei. Nach unglaublichen 825 Jahren Brauchbarkeit ist das eine kühne Aussage. Sind wir wirklich auf dem richtigen Weg? (Bildquelle: unbekannt)
Ich habe mich entschieden: Meine Aufgabe wird es in Zukunft sein, dieser unbedingt notwendigen Neuausrichtung der Architektur eine Stimme zu geben.
Das Neue liegt in der Rückbesinnung.
-Wir müssen radikal damit aufhören, Gebäude abzubrechen.
-Wir müssen damit beginnen, von den bestehenden Altbauten zu lernen.
-Wir müssen radikal damit aufzuhören, Materialien zu verbauen, die nicht gesund sind: nicht für die Menschen, die sich in solchen Gebäuden aufhalten, nicht für die Umwelt, nicht für eine Gegenwart, in der Mülldeponien von Bauschutt mehr Platz einnehmen als Spielplätze für Kinder.
-Wir müssen radikal damit aufhören, mit unpassenden Neubauten unsere Städte und Dörfer zu zerstören.
-Wir müssen radikal damit aufhören, gegen die Natur zu bauen. Wir müssen radikal damit aufhören, Gebäude zu errichten, die nicht mehr reparaturfähig sind.
-Wir müssen wieder damit beginnen, Gebäude zu errichten, die auch in 500 Jahren noch überzeugen: aus materialmäßiger, aus formaler und aus funktionaler Sicht.
-Wir müssen wieder damit beginnen, abfallfrei zu bauen.
-Wir müssen wieder damit beginnen, mit Bedacht auf regionale Ressourcen zu bauen. Wir müssen uns die Welt des Bauens und der Architektur von der Industrie zurückholen.
Um diesem Diskurs einen Ort zu geben, betreibe ich eine Homepage mit dem Namen schoenheitderdinge.at. Das zentrale Medium des Diskurses wird dort ein Blog sein, das sich dieser Neubesinnung der Architektur widmet. Es geht um eine Expertise für das Erhalten und Neugestalten, für das Wahrnehmen der Schönheit in den Dingen. Ein neues Leben nach Corona heißt auch ein behutsameres und intelligenteres Bauen. Nachhaltigkeit und Respekt vor dem Bestand sind Lebensprinzipen.
Es soll auf dieser Homepage vor allem eine positive Auseinandersetzung mit den Potentialen und der Schönheit unserer gebauten Welt stattfinden.
Das Blog wird verschiedene Rubriken haben. In der Rubrik VOR DEN VORHANG werde ich zum Beispiel Mut machende Beispiele zeigen. Als bauender Architekt habe ich einen wichtigen Grundsatz gelernt. Dieser lautet: Es geht immer auch anders. Wir sind nicht dazu gezwungen, einen einmal als falsch erkannten Weg weiterzugehen, auch wenn uns verschiedene Lobbys gerne dazu zwingen wollen.
Ein Haus ist kein Kühlschrank: Wir sollten daher zum Beispiel die Sinnhaftigkeit eines Energieausweises für ein Haus grundsätzlich und fundiert in Frage stellen. Solche Realitäten unseres heutigen Bauschaffens werden mit Fragen von Dauerhaftigkeit und Nachhaltigkeit konfrontiert.
Es gibt neben dem BLOG noch eine zweite Ebene der Kommunikation für diese Themen. Ich habe mich in den letzten Monaten nämlich intensiv damit beschäftigt, eine Buchreihe zu dieser Themenwelt ins Leben zu rufen. Sie heißt SCHÖNHEIT DER DINGE.
Die Buchreihe SCHÖNHEIT DER DINGE beschäftigt sich mit Randgebieten der Architektur. Bisher wenig beachtete Themen finden in dieser Reihe eine monothematische Beachtung.
Die Buchreihe Schönheit der Dinge ist eine wachsende Angelegenheit. Die Bücher dieser auf etwa 100 Bände angelegten Reihe erscheinen im handlichen Format von 8 x 5 Zoll im Selbstverlag und haben alle das gleiche Design. Die einzelnen Bände sind jeweils zwischen 100 und 200 Seiten stark und mehr oder weniger bebildert. Die Hauptrolle in der Buchreihe Schönheit der Dingespielen die Architektur und ihre Randbereiche.
Die einzelnen Bände beschäftigen sich mit Gärten, mit der Sanierung von pannonischen Streckhöfen oder mit der poetischen Schönheit berühmter Städte wie Rom oder Istanbul. Es geht um Türdrücker als oftmals unbemerkt bleibende Architekturpetitessen und um eine sehr persönliche architekturtheoretische Bibliothek. In einem Bau-ABC werden Fachbegriffe der Architekturgeschichte anschaulich bebildert und poetisch knapp beschrieben. Die sogenannte Architektenprosa wird ironisch in Szene gesetzt und Ritterburgen in Vorgärten ist ein eigener Band gewidmet.
Einzelne Bücher behandeln verschiedene Bauelemente wie Stadel, Hütten oderKellerfenster. Es geht aber auch um Untersichten von Gebäuden, um Mauern, Fenster, Tore und Portale. Auch profane Phänomene wie schlichte Schalsteinmauern sind eigene Bände wert. Farbe und Architektur ist gleich in mehreren Einzelbänden ein Thema. Baustoffe wie Lehm und Kalk, aber auch die Beziehung zwischen dem Bauen und der Natur werden behandelt. Menschliche Artefakte, die sich ganz sprichwörtlich in der Erde finden lassen, werden genau so betrachtet wie die Rückseiten von Bildern.
Gebaute Verrücktheiten oder die gerade verschwindenden Alltagsbauten des 19. Jahrhunderts werden dokumentiert. Phänomenen wie zugemauerten Fenstern oder der Schrift in der Stadt wird nachgegangen. Das Verhältnis zwischen Architektur und Musik wird untersucht. Im Band Architektenlieder geht es um die Werke berühmter Architekten. Gedichte, die formal den jeweiligen architektonischen Stilen entsprechen, würdigen diese Meister. Eine zentrale Stelle nehmen in der Buchreihe die Bücher FASSADENLESEN IN ein. Das sind morphologische Monographien einzelner Orte, worin es um oft übersehene Alltagsarchitekturen geht.
Vertrieben werden die Taschenbücher im Moment über die Plattform Amazon oder über die Homepage schoenheitderdinge.at, auf der es einen eigenen Buchshop gibt.
Meine Leidenschaft für die Welt der Architektur ist im Lauf der Jahre immer größer geworden. Räume zu schaffen, die dann das Heim oder der Arbeitsplatz von Menschen sind, ist wohl eine der schönsten Aufgaben der Welt. Die Architektur ist eine faszinierende, reichhaltige und immer wieder überraschende Disziplin. Es liegt an uns, dafür zu sorgen, dass dies so bleibt. Gesundes, nachhaltiges Bauen unter Einbeziehung der vielfältigen architektonischen Erfahrungen und die damit verbundene Schönheit in den Dingen entspricht dem Lebensgefühl unserer Zeit.
Danke, das Sie bis hierher gelesen haben. Es würde mich freuen, wenn wenn Sie mich auf meinem Weg begleiten möchten. Das Ziel ist eine bessere, nachhaltigere und langlebigere Architektur und ein mehr Respekt gegenüber dem, was da ist.
Herzlichst,
Klaus-Jürgen Bauer