Der Name Metzleinstaler Hof erinnert an den alten Flurnamen Metzleinstal, der dort bereits im Mittelalter gebräuchlich war: jedenfalls wurde er im Jahr 1305 erstmals erwähnt. Später setzte sich für diese Gegend an der Wiener Südeinfahrt der Name Matzleinsdorf durch. Genau hier, an diesem vorher recht unscheinbaren Gürtelabschnitt entstand nach dem ersten Weltkrieg der erste Gemeindebau der roten Wien, der sich mit seinen Nachfolgebauten zu einer Ringstraße des Proletariats zusammenfügte. Der Bau wurde im Winter 1920 vollendet. Der Metzleinstaler Hof wurde zum ersten Gemeindebau des roten Wien, wenn auch mehr oder weniger wider Willen. Und das kam so.
Ein Architekt taucht auf. Dieser Architekt hieß Robert Kalesa, ein Wiener aus gutbürgerlichen Verhältnissen, Jahrgang 1883. Sein Vater war ein aus Ungarn zugewanderter Geschäftsmann, die Mutter eine Arzttochter. Kalesa erhielt seine Ausbildung an der Höheren Staatsgewerbeschule. Nach der Matura und dem damals für bessere Söhne obligatorischen Einjährig-Freiwilligen-Jahr, bei der er teilweise auf eigene Kosten zwar einen auf ein Jahr verkürzten Wehrdienst, aber dafür die Ausbildung zum Reserveoffizier absolvierte, studierte er an der Akademie der bildenden Künste an der Meisterschule von Friedrich Ohmann. Später arbeitete Kalesa auch im Atelier von Ohmann. Er gehörte damit zu jener Architektengeneration, die vom Secessionismus und Jugendstil geprägt wurden. Nach dem Studium erwarb der tüchtige Kalesa dann auch noch eine Baumeisterkonzession und machte sich damit im Jahr 1913 mit nur dreißig Jahren selbständig.
Es war die Zeit einer unglaublichen Hochkonjunktur. Trotz seines jugendlichen Alters erhielt Kalesa sofort größere Aufträge und plante und baute in Personalunion Industrieanlagen in Ungarn, einen Schulbau in Mödling sowie große Wohn- und Siedlungsbauten in Wien und Niederösterreich, die alle in einem verhalten-dekorativen Charakter gestaltet waren, oftmals breitgestreckte Fassaden mit Elementen des Heimatstils und des Biedermeier, die durch Pilaster und Dreieckgiebel rhythmisiert wurden. Dann kam der Krieg. Kalesa rückte zwar als Oberleutnant ein, führte aber sein Unternehmen von der Front aus weiter. Auch der spätere Metzleinstaler Hof entstand auf diese Art als ein Spekulationsobjekt mit einer geschmückten Schauseite und konventionellen, repräsentativen, straßenseitigen Eingängen.
Geplant wurde der Wohnbau noch im Jahr 1914, die Bauarbeiten begannen kriegsbedingt allerdings erst im Jahr 1916, wurden aber bald völlig eingestellt. Hier endet Kalesa Beitrag eigentlich. Sein Lebensweg nach dem Krieg wurde ein anderer. In der Zwischenkriegszeit war Kalesa oftmals nur als ausführender Baumeister tätig. Dort, wo er selber plante, waren seine Bauten vor allem Luxusvillen im Währinger und Hietzinger Cottage. Ein echter Klassenfeind also, der erst lange nach dem Zweiten Weltkrieg als reicher Mann starb.
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs tauchte jedenfalls an der unvollendeten Baustelle von Kalesas Zinspalast ein anderer Architekt auf. Sein Name ist Hubert Gessner. Die Gemeinde Wien, die damals gerade nach einer genialen Idee ihrer masterminds Paul Breitner und Otto Bauer die finanziellen Strukturen für das spätere Rote Wien entwickelten, hatten nämlich den in den Kriegswirren steckengebliebenen, unfertigen Bau aufgekauft. Gessner wurde mit dieser Planungsaufgabe zum eigentlichen Erfinder und formalen mastermind der Wiener Gemeindebauten des roten Wien. Hubert Gessner war 13 Jahre älter als Kalesa und stammte aus kleinen Verhältnissen in Mähren, wo er die höhere Gewerbeschule in Brünn besuchte. Adolf Loos war sein Klassenkamerad, Leopold Bauer und Josef Hoffmann besuchten die gleiche Anstalt zwei Jahre später. Im Jahr 1894 ging Gessner an Otto Wagners Meisterschule an der Akademie der bildenden Künste, wo er gemeinsam mit Josef Plecnik und Jan Kotera studierte und später auch im Büro Wagner arbeitete. Danach arbeitete er am mährischen Landesbauamt in Brünn, von wo aus er sich im Jahr 1902 am Wettbewerb für das Arbeiterheim Favoriten beteiligte. Gessner gewann den Bewerb und wurde ein enger Freund von Viktor Adler, dem Führer der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP). Gessner gründete sein eigenes Atelier und wurde zum Hausarchitekt der Partei. Er plante Arbeiterheime, Gebäude für den Wiener Konsum-Verein, Wohnhäuser, Lagerhäuser und sogar Fabriksanlagen.
Gessner vollendete jedenfalls im Jahr 1920 den Bau von Robert Kalesa, indem er den großen, spätsezessionistischen Kommerzblock des Robert Kalesa kurzerhand zu einem kleinen Bestandteil der späteren Volkswohnhäuser und Superblocks des Roten Wien umdefinierte. Im Jahr 1923 erweiterte Hubert Gessner den Kalesa-Bau durch die Errichtung weiterer Wohneinheiten entlang der Fendigasse, Siebenbrunnenfeldgasse und Siebenbrunnengasse bedeutend. Damit schuf Gessner den Prototyp des Roten Wien: in dunklen, die Arbeiterschaft symbolisierenden Erdfarben gestrichene Wohnblocks mit dezentem Schmuckelementen, die in Blockrandverbauung einen großen, begrünten Innenhof umschließen, von dem aus dann die jeweiligen Stiegenhausaufgänge zugänglich sind. Hier, am Metzleinstaler Hof entstand das Vorbild für zahlreiche spätere Gemeindebauten in ganz Wien. Wir finden hier erstmals Stiegenhäuser, die vom Hof zugänglich sind. Im Gemeindebau gab es keine Gangküchen mehr. Dafür gab es hier erstmals eine direkte Belichtung aller Räume, einen Kindergarten im Erdgeschoß sowie eine zentrale Badeanstalt, eine Wäscherei, eine Bibliothek, Klubräume sowie eine Lehrlingswerkstatt. Das Rote Wien hatte mit Hubert Gessners Superblock seine Form gefunden, in dessen ersten Modell zufällig ein unvollendetes Zinshaus von Robert Kalesa inkorporiert wurde.